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„Mapping the GerManosphere“ – Wie digitale Frauenfeindlichkeit Demokratie bedroht

SCRIPTS Blog Post No. 77 | Ein Interview mit Prof. Dr. Gülay Çağlar und Dominik Hammer

№ 76/2025 from Jun 30, 2025

Transdisziplinäres Forschungsprojekt: „Misogynie online“

Transdisziplinäres Forschungsprojekt: „Misogynie online“

Frauenfeindliche Netzwerke im Internet haben längst Einfluss auf gesellschaftliche Debatten und politische Prozesse. Doch welche Gruppen sind im deutschsprachigen Raum daran beteiligt? Wie funktionieren ihre Narrative? Und was bedeutet das für Demokratie und Gleichberechtigung? Die Studie „Mapping the GerManosphere“ gibt Antworten. Wir sprechen mit den Autor:innen Prof. Dr. Gülay Çağlar und Dominik Hammer über ihre Forschung, zentrale Erkenntnisse und Lösungsansätze. 


Wie entstand die Idee zur Studie „Mapping the GerManosphere“?  

Dominik Hammer: Die Idee entstand aus dem Austausch zwischen dem Exzellenzcluster SCRIPTS und dem Institute for Strategic Dialogue. Beide Institutionen beschäftigen sich mit der Frage, wie demokratische Gesellschaften unter Druck geraten. Uns wurde schnell klar, dass digitale Gewalt gegen Frauen eine der unterschätzten Bedrohungen für liberale Demokratien ist. Während SCRIPTS die Expertise zu demokratischen Herausforderungen mitbrachte, konnten wir beim ISD auf umfangreiche Erfahrung mit der Analyse extremistischer Online-Phänomene zurückgreifen. So entstand die Idee einer gemeinsamen Studie, die sowohl politikwissenschaftliche als auch onlinedatenbasierte Perspektiven verbindet.


Warum ist das Thema frauenfeindliche Netzwerke gerade so relevant?

Gülay Çağlar: Weil es um mehr geht als um Hass im Netz – es geht um die Frage, wer in unserer Gesellschaft sichtbar sein darf. Frauen, die sich öffentlich äußern, werden zunehmend mit Hass und Drohungen konfrontiert. Das betrifft Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen. Die Konsequenz: Manche ziehen sich zurück oder äußern sich nicht mehr zu bestimmten Themen. Diese Form der Selbstzensur ist eine direkte Gefahr für die Demokratie, weil sie den gesellschaftlichen Diskurs verengt und bestimmte Perspektiven systematisch ausblendet.


Dominik Hammer:
 Hinzu kommt, dass frauenfeindliche Netzwerke eng mit anderen extremistischen Strömungen verknüpft sind. Wir sehen weltweit, dass rechtsextreme, islamistische und andere radikale Bewegungen gezielt junge Männer rekrutieren, indem sie Krisennarrative über Männlichkeit verbreiten. Die „Mannosphäre“ ist ein wichtiges Vorfeldmilieu für solche Ideologien.


Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Dominik Hammer: Wir haben eine umfassende Datenerhebung durchgeführt und Social-Media-Plattformen, Blogs und Webseiten untersucht. Dabei haben wir Profile und Gruppen aus der deutschsprachigen Mannosphäre gesammelt, kategorisiert und ihre Vernetzungen analysiert. Ergänzend haben wir qualitative Analysen genutzt, um zentrale Narrative herauszuarbeiten.

Gülay Çağlar: Der transdisziplinäre Ansatz war für uns essenziell. Wir haben von Anfang an Expert:innen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft einbezogen, um die gesellschaftliche Relevanz der Forschung sicherzustellen. Die Studie wurde nicht nur für ein wissenschaftliches Publikum geschrieben, sondern auch für politische Entscheidungsträger:innen und Praktiker:innen, die mit digitaler Gewalt konfrontiert sind. Wir sind froh, dass wir mit der Konrad-Adenauer-Stiftung einen engagierten Partner gefunden haben, mit dem wir die gesamte Studie auch in einem öffentlichen Debattenformat begleitet konnten.


Was sind die zentralen Erkenntnisse der Studie?

Dominik Hammer: Erstens ist die Mannosphäre kein homogener Block, sondern ein Netzwerk aus verschiedenen Gruppen. Dazu gehören Pick-Up Artists, Incels, Männerrechtsaktivisten und sogenannte Männlichkeitscoaches. Diese Gruppen eint die Ablehnung von Gleichberechtigung, aber sie nutzen unterschiedliche Narrative und Strategien.  

Zweitens hat sich gezeigt, dass frauenfeindliche Narrative extrem erfolgreich in sozialen Medien verbreitet werden. Besonders die Coaching-Szene hat es geschafft, frauenfeindliche Ideologien unter dem Deckmantel von Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung zu normalisieren.  

Drittens haben wir gesehen, dass viele dieser Netzwerke gezielt junge Männer ansprechen und in eine schrittweise Radikalisierung führen. Die Einstiegspunkte wirken harmlos – etwa Tipps zur Attraktivitätssteigerung oder Karriereerfolg –, aber dahinter steht oft eine Ideologie, die Frauen als Gegner oder sogar als „Parasiten“ darstellt.  Diese Ideologien werden oft mit einem pseudo-wissenschaftlichen Anstrich versehen und mit biologistischen und evolutionistischen Argumenten gespickt. Viele der Narrative scheinen eins zu eins aus der englischsprachigen „Manopshere“ importiert worden zu sein.

Welche gesellschaftlichen Folgen hat das?

Gülay Çağlar: Langfristig kann das dazu führen, dass die demokratische Teilhabe eingeschränkt wird, weil Menschen sich aus Angst vor Anfeindungen zurückziehen. Es entsteht eine Verzerrung des öffentlichen Diskurses – und genau das ist das Ziel dieser Netzwerke. Welche Auswirkungen Misogynie im Netz auf Gewalt gegen Frauen im Alltag hat haben wir in dieser Studie nicht erforscht. Man muss aber davon ausgehen, dass es eine enge Verbindung von sprachlicher und körperlicher Gewalt gibt.

Was muss getan werden, um digitale Gewalt gegen Frauen einzudämmen?

Dominik Hammer: Unsere Studie gibt mehrere Handlungsempfehlungen:  

  1. Mehr Aufklärung & Bildung: Viele junge Männer kommen mit diesen Ideologien in Kontakt, ohne sie als gefährlich zu erkennen. Schulen und Bildungseinrichtungen müssen stärker über Geschlechterrollen, Medienkompetenz und digitale Radikalisierung aufklären.  
  2. Gegen-Narrative entwickeln: Hass darf nicht unwidersprochen bleiben. Es braucht eine stärkere zivilgesellschaftliche Gegenbewegung, die falsche Narrative entlarvt und alternative Männlichkeitsbilder aufzeigt.  
  3. Plattformen stärker in die Verantwortung nehmen: Soziale Netzwerke spielen eine zentrale Rolle in der Verbreitung frauenfeindlicher Ideologien. Striktere Moderationsrichtlinien und eine bessere Durchsetzung bestehender Gesetze sind notwendig.  
  4. Betroffene besser unterstützen: Menschen, die digitaler Gewalt ausgesetzt sind, brauchen niedrigschwellige Anlaufstellen und rechtliche Unterstützung.  
  5. Weitere Forschung: Unsere Studie ist ein erster Schritt. Um die Mechanismen dieser Netzwerke noch besser zu verstehen, sind vertiefende Analysen notwendig.  

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Gülay Çağlar: Die Studie hat gezeigt, welchen Umfang misogyne Netzwerke haben, wie sie strukturiert sind und welche Narrative und Methoden sie nutzen. Unser nächster Schritt ist es, die Auswirkungen auf politische Teilhabe noch genauer zu untersuchen. Ziehen sich politisch aktive Frauen tatsächlich häufiger zurück? Und wie beeinflusst digitaler Hass Wahlkämpfe?  

Dominik Hammer: Zudem wollen wir uns stärker mit Deradikalisierungsstrategien beschäftigen. Wie können Menschen, die in diese Netzwerke geraten sind, wieder herauskommen? Das wird eine zentrale Frage für zukünftige Forschung und politische Maßnahmen sein.  

Warum ist es so wichtig, über dieses Thema zu sprechen?

Gülay Çağlar: Weil online Misogynie ein gesellschaftspolitisches Phänomen ist. Wer bestimmen kann, wer (zu welchen Themen) spricht und wer schweigt, der bestimmt langfristig auch, wie die Demokratie funktioniert. Deshalb müssen wir digitale Gewalt und Hass im Netz als das erkennen, was sie sind: eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und die gesellschaftliche sowie politische Teilhabe.  

 

Das Interview wurde von Boris Nitzsche (Programmkoordinator Knowledge Exchange Lab, SCRIPTS) geführt.